(für die Neuen (oder Dummen): Von unten nach oben lesen!)
A LITTLE BIT OF FUR - 9PM
"Vorsicht", rief Ben, als Sam etwas zu eifrig mit den Flügeln schlug und dabei beinahe seine Notizen vom Tisch fegte. Er hatte uns mittlerweile anvertraut, dass er dabei war ein Lied zu schreiben. Nach ihrem ersten Date vor zwei Wochen hatten er und Sam zwar beschlossen, dass sie besser Freunde bleiben sollten - meiner Vermutung nach war ihnen aufgefallen, dass es für sie zu schwer war, viel Zeit in der Welt des anderen zu verbringen, ich hatte Sam jedoch nicht darauf angesprochen - aber er kam trotzdem noch von Zeit zu Zeit hier her. Heute hatte er den Tag über in einem Gästezimmer im Café geschlafen.
Sam lachte nur und stellte eine Portion Night Berry Cake vor ihm ab. "Heute wirds voll", informierte sie mich. Ich nickte ihr zu und rückte einen der schweren Ohrensessel zur Seite, um Platz zum gehen zu schaffen. Die Schädel schlummerten friedlich vor sich hin. Noch hatte die Dämmerung schließlich nicht begonnen. Noch hatte das Café noch nicht aufgehört nur zu existieren, sondern auch wirklich da zu sein. Noch befanden wir uns in der Halbwahrheit, die zwischen den Sekunden lag. Aber das würde nicht lange so bleiben. Wir näherten uns dem Sonnenuntergang.
Ich warf das Putztuch, dass ich bis grade gehalten hatte zur Theke und schnippte mit meinen Fingern, woraufhin Leben in die Schädel kam. Kasimir schmatzte verschlafen und Apocalypse Rüdiger gähnte heftig, wobei man die Symbole, die in sein Inneres geritzt waren, sehen konnte. Die Symbole, die die Magie die in ihm steckte verstärkten und es ermöglichten, das Café sicher von einem Ort zum anderen zu bewegen. Meine eigene Magie war lange nicht stark genug, um so etwas komplexes zu bewirken und so hatte ich, wie es seit dem Mittelalter Brauch war, Schädelmagie in die Magie des Cafés eingewoben. Die Schädel waren nicht nur Dekoration und Freunde, sie waren das Öl in den Maschinen meines Cafés. Bei diesem Vergleich musste ich mir grinsend auf die Schulter klopfen.
Dann war es so weit. Die Dämmerungszeit brach an und das Café wagte den Sprung von hier nach da. Von außen sah man nicht viel, entweder konnte man das Café gar nicht erst sehen, oder man bemerkte nur, dass die Lichter plötzlich angingen. Und natürlich, dass man das Café plötzlich tatsächlich betreten konnte. Von Innen war es jedoch viel schöner. Warme Energie summte durch den Raum und die Symbole überall in Wänden und Boden, in den Schädeln und sogar an mir begannen golden zu leuchten und leicht zu pulsieren. Sie versuchte ein Kribbeln und ein Wohlgefühl, das schwer zu beschreiben aber unglaublich zu erleben war. Es war ein wunderschöner Moment.
Nach einigen Sekunden verschwanden die Symbole jedoch wieder, genau so schnell wie sie auch gekommen waren. Wir waren wieder real. Sam hatte kaum innegehalten, um den Sprung zu verfolgen, doch Ben saß mit großen Augen auf seinem Stuhl. Das morgendliche Verschwinden des Cafés war lange nicht so imposant wie das Auftauchen abends. Es war mehr so, als würde ein Licht flackernd ausgehen. Nur ein kleiner Moment, in dem man merkte, dass sich etwas veränderte, bevor sich alles wieder normal anfühlte. "Wow", meinte Ben leise. Sam stellte sich zu ihm. "Ich weiß. Ich hab mich noch immer nicht ganz daran gewöhnt und ich habe es schon oft gesehen." "Ich auch nicht", ich grinste, "und ich bin ja wohl am längsten dabei." "Wohl war", lachte Sam.
"Weißt du, wer heute alles vorbeikommt?", fragte ich Sam, als ich das erste Glas H0 des Abends zapfte. "Mal schauen", meinte sie, "Sadia hat gestern gesagt, sie würde kommen. Irgendwas will sie mit den Schädeln besprechen, denke ich." "Manchmal frage ich mich, ob wir oder die ihre Freunde hier sind...", murmelte ich mit einem schiefen Grinsen. Sam lachte und nickte. "Solange sie deine Drinks so lobt solltest du dich aber nicht beschweren." "Wie könnte ich? Sie hält die launischen Knochen doch beschäftigt! Dann fangen sie immerhin nicht wieder an, sich mit lockeren Zähnen anzuspucken wie beim letzten Mal wo sie keine Zeit hatte!" Wir beide schüttelten uns ein wenig bei dem Gedanken an das damalige totale Desaster. Das war damals der Moment gewesen, an dem ich beschlossen hatte, eine Fingerschnipp-Aktivierung einzubauen, um die kleinen Monster notfalls außer Gefecht zu setzen.
"Oh!" Sam schlug sich vor den Kopf. "Das hab ich ja fast vergessen. Schau mal, wer heute Morgen einen Zettel an die Pinnwand geschickt hat." Die Pinnwand, die hinter der Theke hing, war ein weiterer magischer Gegenstand. Sie erlaubte einigen unserer Stammkunden uns jederzeit zu erreichen, in dem sie einfach eine Notiz auf einen speziellen Block Papier schrieben. Diese Nachricht tauchte dann bei uns auf, oder in dem Falle, dass wir etwas brauchten, bei ihnen. Sam reichte mir einen braunes, ausgefranstes Stück Papier, auf dem in einer unverkennbaren Handschrift ein gekritzelter Text stand.
"Good Night ihr Verrückten!
Ich habe mit dem Typen in Manchester einen guten Deal gemacht und wollte vorbeikommen. Könnt ihr mich aufsammeln? Soweit ich weiß landet ihr hier normalerweise nicht...
Alles Liebe und bis gleich,
Gefken
PS: Stellt das Sirenpulver bereit!"
Ich ließ das Papier sinken. "Gefken kommt!" Meine Freude war nicht zu überhören und auch Sam grinste über beide Backen. "Ich glaub es nicht, sie hat es endlich geschafft. Wer hätte gedacht, dass sie das durchzieht?" "Ich. Du kennst sie doch. Wenn Gefken sagt, sie will etwas tun, dann geht man besser auf Abstand und klatscht Beifall, wenn sie es gemeistert hat." "Stimmt auch wieder." Ich legt das Papier zur Seite und ging zur Treppe. "Ich hole uns mal nach Manchester, dann kann der Spaß beginnen."
Zum Glück war es nicht allzu schwierig, das Café an einen weiteren Ort zu transportieren und ich brauchte nur wenige Minuten in dem Zimmer hinter der Tausendtür, dass aus einer einzigen riesigen Weltkarte bestand, um unseren Reisepfad zu erweitern. Grade, als ich die Stufen zum Hauptraum jedoch wieder herunter stieg, flog die Tür zum Café mit Schwung auf und verpasste Paddy O'Brien, der zufällig auf der Fensterbank daneben saß, einen heftigen Schlag. Leyo stand in der Tür und hielt etwas kleines, orangenes in ihren Händen. Ich glaubte, ein kleines bisschen Fell zu erkennen. Leyo schien ein ganzes Stück gelaufen zu sein, denn sie atmete schwer. Sie sah mich an und streckte mir, was immer sie da in den Händen hielt, entgegen. "Bitte sag mir, dass du Heilmagie beherrschst!"
SOMETHING REAL - 00AM
Vorsichtig näherte ich mich dem Stuhl. Der metallische Geschmack, der mir schon in den ersten Sekunden in der Nähe von Sky aufgefallen war, wurde stärker. Ich berührte mit einem Finger den Sitz des Barhockers. Er war noch warm.
Ich musste gestehen, ich war vollkommen verwirrt. Niemand betrat oder verlies das Café, ohne dass ich zumindest unterbewusst Notiz davon nahm. Ich selbst hatte diese Mechanismen eingebaut, die nötigen Symbole mit einem schwarzen Skalpell und goldener Tinte in die Wände und Böden geritzt. Sie hatten eine lange Zeit nicht versagt. Es war unmöglich, dass Sky einfach so verschwunden war.
Unsichtbarkeit, war das nächste, was mir einfiel. Mit zwei hastigen Schritten streckte ich meine Hand nach einem der schweren Holzbalken, die die Theke hielten, aus. Die versteckten, goldenen Symbole unter meinen Fingerspitzen glühten auf und eine Welle knisternder Energie schob sich durch das Café. Einige Gäste schauten verwirrt auf.
"Entschuldigung, nur eine Routinekontrolle", log ich mit einem Lächeln und sah mich dabei unauffällig um. Sky war immer noch verschwunden.
Ich löste meine Finger wieder von dem Balken und die goldenen Symbole schmolzen langsam zurück ins Holz.
Ich war vollkommen ratlos.
"Dass du es noch nicht erkannt hast...", schnitt eine Stimme in meinem Rücken durch die Luft. Ich hatte sie erst einmal gehört, aber ich erkannte die leise und doch scheinbar durch den ganzen Raum klingende Stimme sofort. Meine Tattoos an den Handgelenken hatten sich verflüssigt. Der Geschmack nach Metall in meinem Mund wurde beinahe unerträglich. Ich schnellte herum.
Sie stand ganz lässig da. Ihre roten Haare wogten um ihren Körper, die Runentattoos flackerten stärker denn je, wurden zu kleinen rotschwarzen Blitzen auf ihrer Haut, und die Zeiger des Uhrtattoos auf ihrer Hand rotierten so stark, als wären Stunden nur Sekunden.
"Wer bist du?", fragte ich die Frau, die sich als Sky vorgestellt hatte.
"Was kriege ich dafür? Was bringt es mir, dir diese Information zu geben?"Ich lachte kurz auf. "Was?" Sky kniff die Augen zusammen und senkte die Stimme ein wenig. "Etwas Wahres für etwas Wahres. Ich beantworte deine Fragen, wenn du meine beantwortest." Ich schüttelte den Kopf. "Du wirst nichts über mich erfahren. Das hier ist mein Café, hier gelten meine Regeln. Du kannst-" "-jederzeit wieder verschwinden, und dann sind wir beide nicht klüger." Ich schloss meinen Mund. Ich wollte nicht riskieren, das Sky ging ohne mir zu antworten.
"Na gut", willigte ich ein, "Etwas Wahres für etwas Wahres. Wer bist du?" "Das habe ich dir schon gesagt. Sky. 22 Jahre alt- naja." Sie warf ihre Haare in ihren Nacken. "Ich bin dran. Wer bist du?" Ich musste überlegen, wie ich die Frage beantwortete. "Ich bin die Besitzerin des Cafés, und ich bin alt genug. Was willst du hier?" "Siren trinken und mich entspannen. Wie alt ist das Café?" Einige Gäste sahen mittlerweile besorgt zu uns und Sadia hatte einen Gesichtsausdruck, als würde sie jeden Moment aufstehen und einschreiten. Doch ich bedeutete ihr, dies nicht zu tun. Ich hatte mich mit dem Austausch von Wahrheiten auf ein gefährliches Spiel eingelassen und wollte nicht, dass ich meine Karten für mehr als eine Person aufdecken musste. "Sehr alt. Wo warst du grade, wie bist du verschwunden?" Jetzt schüttelte sie den Kopf. "Das du es immer noch nicht verstanden hast! Eigentlich sind wir gar nicht so verschieden, weißt du? Nur, dass du und das das Café seitwärts reisen und ich geradeaus."
Und damit fügte sich das Puzzle zusammen. Natürlich. Zeitreisen. Es war so offensichtlich gewesen. Sky hatte gedacht, hier schon mal gewesen zu sein. Ihr Uhrtattoo. Das Verschwinden. Dann kam mir ein anderer Gedanke. Sie hatte buchstäblich alle Zeit der Welt. Was war so interessant, dass sie noch nicht mal ihr Getränk austrinken konnte, bevor sie wieder verschwand? "Wo warst du?" "Ich habe mich ein bisschen umgeschaut. Ich wusste, dass ich mir selbst nicht mehr über den Weg laufen würde. Du hast schon eine ziemliche Geschichte, nicht wahr?" Ich trat einen Schritt nach vorne und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Sadia kurz zusammenzuckte. Sky verzog jedoch keine Mine. "Es gibt einen Grund, warum Vergangenheit Vergangenheit heißt!", zischte ich wütend, "Es gibt Dinge, die nicht jeden etwas angehen. Wie viel meines Lebens hast du geklaut?"
"Ich bin weit genug zurückgegangen. Ich weiß, was ich wissen muss. Aber ich will dir nicht schaden." "Nein? Dafür interessierst du dich aber eindeutig zu viel für das, was war." Ich beschloss, auf Risiko zu spielen. "Du hast ein unlesbares Gesicht, deinen Ausdruck immer genau unter Kontrolle. Bei einer plötzlichen Bewegung oder einem lauten Geräusch zuckst du nicht einmal zusammen. Du trägst Kriegerrunen am ganzen Körper, mehr als ich je bei einem Menschen gesehen habe und meine Schutzmagie spielt in deiner Nähe verrückt. Versuch nicht, mir etwas vorzumachen. Ich erkenne eine trainierte Assassinin, wenn ich eine sehe!" Die Millisekunde Emotionen, bevor Sky ihr Gesicht unter Kontrolle bringen konnte, verrieten mir, dass ich richtig lag.
"Ja", gab sie zu, "das ist mein Beruf. Und deswegen ist es für mich natürlich, meine Aufenthaltsorte zu sichern und in deren Vergangenheit zu blicken. Trotzdem habe ich nicht gelogen als ich gesagt habe, dass ich nur zum Siren trinken und entspannen hergekommen bin. Auch ich habe manchmal frei, weißt du?" Das brachte mich zum Innehalten. Ich dachte nach. Sky fühlte sich wie Gefahr an, diese Aura hing fast wie eine Kristallkugel um sie herum. Aber war sie eine Gefahr für mich? "Wir machen einen Deal", sagte ich leise. "Niemand erfährt von den Dingen, die du in meiner Vergangenheit gesehen hast und dafür erfährt auch niemand, dass eine Frau, auf die sicherlich Kopfgeld steht, gerne mal ein bestimmtes, kleines Café auf einen Drink besucht." Die rothaarige Frau nickte. "Damit kann ich leben." "Du weißt, dass du trotz deines Trainings keine Chance haben wirst, jemanden im Café zu verletzen?" "Ich habe es mir gedacht." "Dann trink dein Getränk", bestimmte ich, "und kein Verschwinden. Geh aus der Tür, wie jeder normale Mensch auch."
A LITTLE HELP FROM YOUR FRIENDS - 11PM
Die Türglocke klingelte und ich zog meinen Ärmel wieder hinunter. Ulrich glitt auf die Anrichte und verschwand hinter ein paar Fässern. Ich drehte mich um, reichte Sky den fertigen Siren und begrüßte Sadia, die grade ins Café gekommen war. "Night", lächelte ich, dieses Mal sogar von Herzen, auch wenn man den Unterschied zu der Fälschung, die ich Sky gegeben hatte, nicht sah. "Wie stehts?" Sadia strich ihre altrosanen Haare zurück und überlegte. "Sie haben den Typen gefunden, der ist jetzt weg." Ich erinnerte mich an ihren letzten Besuch und nickte. "Und ansonsten alles in Ordnung." Sie grinste mich an und kramte in ihrer Tasche, bevor sie ein schwarzes Buch zutage förderte. "Hoffentlich bin ich dir zuvor gekommen... Es ist ein Rohling für das Freundschaftsbuch der Schädel. Dachte mir, wenn ich dir die Arbeit schon mache, kann ich sie dir auch erleichtern." "Danke!" Vorsichtig nahm ich das Buch entgegen und sah es mir an. Vollkommen schwarz und unbeschrieben. "Vielen, vielen Dank, Sadia." Ich lief um die Theke um sie zu umarmen. Sie lachte nur und winkte ab. "Ach komm, so besonders ist es jetzt auch nicht." "Du hast mir einen sehr lästigen Ausflug nach draußen erspart, das ist verdammt besonders." Auch ich musste, ähnlich wie Sam, Vorkehrungen treffen, wenn ich nach draußen gehen wollte. "Was für einen Drink willst du? Geht aufs Haus!" Sadia zupfte sich geschmeichelt an der Augenbraue, eine kleine aber typische Angewohnheit von ihr. "Dann wäre ein Siren ganz toll."
Ich bereitete auch ihr Getränk und sah mich dann im Café um. Es war relativ leer und dank Sams sechsten Sinn für diese Dinge hatte ich mich bereits darauf eingestellt. Momentan waren keine Gäste zu bedienen, weswegen ich Sadia ihr Getränk und das Buch reichte und sie bat, eine Sekunde zu warten. "Oder mach es dir einfach schon mal gemütlich, ich hole nur grade etwas", meinte ich noch, bevor ich die Treppe ins Obergeschoss hochlief.
Am oberen Ende der Treppe war eine Tür, vor der ich stehen blieb. Es war eine besondere Tür, eine sogenannte Tausendtür. Sie führte immer dahin, wohin sie führen sollte. Jetzt, in diesem Moment, dachte ich "Arbeitszimmer" und sie öffnete sich genau dort hin. Der Raum war klein, der große Schreibtisch und die vielen Regale füllten ihn aus und brachten ihn fast zum platzen. Auf dem Schreibtisch selbst herrschte organisiertes Chaos, genauso wie in den überquellenden Schubladen. Zeichnungen von fremden Wesen, Blätter mit verschlungenen, unlesbaren Schriften und Zettel, auf denen verschiedenfarbige Symbole prangten, lagen auf der Arbeitsfläche zerstreut. Zielstrebig ging ich auf eine Schublade zu und öffnete sie. Ich nahm eine einfache Feder, sowie goldene und weiße Tinte heraus und schloss sie wieder. Dann verlies ich den Raum und zog die Tausendtür hinter mir zu.
Sadia hatte es sich natürlich in einer Ecke mit den Schädeln bequem gemacht und war bereits in eine Unterhaltung vertieft. "Macht ihr eigentlich einen Job oder faulenzt ihr nur?", fragte ich schmunzelnd, als ich mich zu ihnen setzte. "Ich arbeite hart genug für diese Bezahlung", grummelte Paddy O'Brien und klapperte mit den Zähnen. "Jo", machte Kasimir auf sich aufmerksam, "Heute ist Bring-dein-Kind-zur-Arbeit Tag und ich habe meinen Caspar mitgebracht. Das geht klar, oder?" Natürlich wusste ich, dass Caspar weder Kasimirs Sohn, noch sonderlich erpicht darauf war, die Arbeit seines "Vaters" kennenzulernen, aber ich spielte trotzdem mit. Er war einfach nicht so gesellig wie die Anderen. Ich kraulte Caspars kleinen Kopf und drehte mit der anderen Hand die weiße Tinte auf.
"Was für ein Muster soll ich machen?", fragte ich Sadia. Die zuckte jedoch wenig hilfreich mit den Schultern. "Alles?" "Danke", murmelte ich, "jetzt hab ich einen genauen Plan. Super, wie detailliert du beschreiben kannst!" Allerdings bescherte mir das nur eine Kopfnuss. "Wehe wir sind nicht im Bild!", beschwerte sich Apocalypse Rüdiger. Ich nickte "Keine Angst, euch hatte ich schon eingeplant."
Ich nahm die weiße, grade Schreibfeder in die Hand und wollte sie grade in die Tinte tunken, als mir plötzlich ein Schauder über den Rücken lief. Ich ließ die Feder instinktiv fallen. Irgendetwas war nicht richtig. Mein Blick schnellte auf der Suche nach der Störung durch den Raum, aber ich konnte nichts entdecken. Verwirrt runzelte ich meine Stirn. Es war zu leer, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es ist nicht etwas hinzugekommen, sondern etwas war verschwunden.
Der Barhocker auf dem Sky gesessen hatte drehte sich noch leicht, war aber ansonsten vollkommen leer...
LOOK OUT FOR THE NIGHT SKY - 10PM
"Good Night", begrüßte ich die Frau, die lässig an die Theke gelehnt stand und interessiert das Menu betrachtete, "Kann ich dir schon etwas bringen?" "Ich nehm das Gleiche wie letztes Mal, denke ich..." Sagte sie abwesend, ihre dunkle, volle Stimme füllte die Luft, ohne das sie laut sprechen musste. Ihre dicken, roten Haare standen im Kontrast zu ihren dunkel geschminkten Augen, die in verschiedenen Farben leuchteten, sowie den schwarzen Piercings, die in ihrer Lippe und ihren Ohren steckten. Runentattoos flackerten über ihre Haut, verschwanden so schnell wie sie gekommen waren und machten es für mich unmöglich, in ihnen zu lesen.
"Entschuldigung", erklärte ich der Frau, "Aber ich kann mich nicht an dich erinnern." Sie sah auf, mir direkt in die Augen und ich runzelte verwirrt die Stirn. Ihr Gesichtsausdruck war undeutbar geworden, eine Mischung aus Verwirrung, Überraschung und Resignation, gemischt mit etwas anderem, Dunklen. Dann schnellte ihr Blick nach oben, über meinen Kopf an den Deckenbalken über der Theke. Ihre Augen verweilten nur wenige Sekunden dort, zogen sich zusammen und weiteten sich dann, erkennend. Traurig. Ich konnte nicht sagen, was sie dort gesucht hatte, aber was immer es war, sie schien es nicht gefunden zu haben. Sie hob ihre Hand und betrachtete das schöne, fein ausgearbeitete Tattoo einer tickenden Uhr, das dort eingraviert war. "Oh", meinte sie dann.
"Ich muss mich entschuldigen", sagte sie, den Kopf schräg gelegt, offensichtlich am überlegen. "Ich habe mich geirrt, es gab noch kein letztes Mal." Irgendetwas an der Art, wie sie diese Sätze sprach, gefiel mir nicht. Sei es das verwirrende Minenspiel, dass sie zuvor an den Tag gelegt hatte, die kalte, abweisende Aura, die sie umgab, oder die scharfen Ecken, die ihre Bewegungen auszeichneten. Ich wusste nicht, was es war, aber es gefiel mir nicht. Meine Nackenhaare stellten sich unwillkürlich auf und ich spürte, wie meine eigenen Tattoos unter meiner Haut kribbelten. Ich hatte einen schlechten Geschmack im Mund, eisenartig, als hätte ich mir auf die Zunge gebissen. Ich vertraute der Fremden nicht. "Mein Name ist übrigens Sky."
Das brach den Bann. Sie war ein Gast, und ich würde sie auch so behandeln. Egal, was für ein schlechtes Gefühl ich dabei hatte, solange sie sich nichts zu Schulden kommen lies, würde ich nichts tun. Ich hatte schon mit anderen zwielichtigen Gestalten verkehrt. Zur Not würde ich immer in Sekunden einschreiten können. In Gedanken bei den zahlreichen Verteidigungen, die das Café besaß, sammelte ich mich. Ich lächelte Sky an, die Maske perfekt. "Dann sag mir doch, was du bei dem nichtexistenten letzten Mal getrunken hast." "Einen Siren", grinste die Rothaarige. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und begann, ihr Getränk zu bereiten.
"Ulrich", bat ich meinen Schlangenfreund, der sich um mein Handgelenk geschlungen hatte, "tust du mir einen Gefallen und beobachtest unseren neuen Gast ein bisschen?" Er wandte seinen goldenen Körper so, dass er die Frau an der Theke direkt im Blick hatte. "Du hast es also auch gemerkt", meinte er. "Seh die Aufgabe als erledigt an." Ich griff, vertieft in meine Gedanken, in eine Schublade und suchte nach dem Sirenpulver. "Es ist seltsam... Ich kann es nicht festmachen, verstehst du was ich meine?" Ulrich nickte leicht: "Einerseits sagen mir meine Sinne, dass sie nichts Böses im Schilde führt, weißt du? Dass das was dafür sorgt, dass sie so gefährlich wirkt, nicht gegen uns gerichtet ist. Aber andererseits..."
Ich zog meinen linken Ärmel hoch. "Schau!" Das blaue Tattoo in Form eines Pentagrammes, das seit ewigen Zeiten auf meinem Handgelenk lag, hatte zu lecken begonnen. Eine dicke, silberne Flüssigkeit lief aus den breiten blauen Linien, hinab zu meiner Hand. Es waren zwar erst wenige Zentimeter, aber wir beide wussten, was es bedeutete. Ich hatte es schon ein paar Mal erlebt, und nie war etwas Gutes darauf gefolgt. Auch mein anderer Arm, mein Nacken und meine Füße hatten bereits bei dem Gespräch mit Sky zu ziehen und kribbeln begonnen.
Die Pentagramme, die uralten Schutzsymbole, mächtiger als fast jede andere Verteidigung, hatten sich selbst aktiviert. Eine Gefahr, die sowohl mich als auch das Café bedrohte, kam unaufhaltsam näher...
Sky
PAPER WINGS - 9PM
"Ich denke, ihr wärt süß zusammen.", erklärte ich abwesend. Mein Blick war konzentriert nach unten gerichtet und meine Hände tanzten über die braunen Federn meiner Freundin. "Ich weiß." Sam stützte den Kopf auf ihr Knie und strecke ihren rechten Flügel ein wenig mehr, sodass ich überall Zugang hatte. Ich ordnete die langen, glänzenden Federn trotz meiner scheinbaren Gedankenverlorenheit akribisch, zupfte da Eine in Position, strich über eine Andere und fuhr durch das dicke Flaumkleid unter den Deckfedern, um sicherzustellen, dass alles an seinem Platz war.
Beim glätten und ordnen der Flügel fing man von außen an. Begann mit den langen Federn, die das Manövrieren möglich machten und mit denen man besonders vorsichtig sein musste. Dann arbeitete man sich langsam nach innen, bearbeitete die aufgeraute Flaumschicht und legte die längeren Federn darüber. Diese Arbeit war eins der wenigen Dinge, bei denen ich mich wirklich entspannen konnte. "Wie ist es gestern eigentlich genau gelaufen?" Wollte ich wissen. Sam lächelte ein unglaublich süßes, kitschiges Lächeln. "Nach den ersten Peinlichkeiten ganz gut." "Sag ich doch. Wenn du nur öfter auf mich hören würdest." "Du warst auch diejenige, die mir geraten hat, als Streichholz zu einem Kostümball zu gehen..." "Und ich stehe dazu. Du hättest eine Menge Blicke auf dich gezogen." "Ja", seufzte Sam, eine Hand an die Stirn gelegt, "das kann ich mir gut vorstellen."
Ich widmete mich nun ihrem linken Flügel. Ein kleiner Schauder fuhr über Sams Rücken, als ich begann, Ordnung in das Federchaos zu bringen und mit meinen Fingern durch den Flaum fuhr. Sie lächelte weiter. "Jedenfalls hat er mich für heute auf ein Picknick eingeladen. Draußen. Aber so abgeschieden, dass ich meine Flügel nicht die ganze Zeit verstecken brauche." "Gut so", murmelte ich, "Ich will dich nicht umsonst so wunderschön machen." "Als ob du eine Gelegenheit auslassen würdest..." Sams Flügel mussten, wenn sie die Sicherheit des Cafés verlassen wollte, vorsichtig zusammengebunden und unter weiter Kleidung versteckt werden. Es war keine schöne Sache, ihre Freiheit so zu rauben. Sam hätte auf das Gefühl der Enge und Eingesperrtheit gerne verzichten können, doch manchmal war es unerlässlich.
"Also ein Picknick bei Nacht?", ich schmunzelte, als ich mir die Situation vorstellte, "Man, das klingt romantisch." "Ja, nicht wahr? Er ist so toll, dass er das vorgeschlagen hat..." "Hm." "Und so einfühlsam. Und so-" "-Ich muss es gar nicht hören, Süße. Pass nur auf, dass ihr nichts Dummes anstellt!" Sie verdrehte die Augen und sah mich an, als hätte ich sie des Hochverrats beschuldigt. "Wann stelle ich denn bitte etwas dummes an?" Ich musste plötzlich husten, auch wenn Sam nachher schwören würde, dass die Geräusche einem "Dich hinter der Theke versteckt, du Dummnudel" sehr, sehr ähnlich klangen.
"Fertig", verkündete ich dann, einen abschließenden Blick auf mein Werk richtend. Schweren Herzens nahm ich ein breites, seidenes Band und wartete, bis Sam ihre Flügel zusammengefaltet hatte. Dann legte ich den schwarzen Stoff über die Federn und band vor ihrer Brust eine feste Schleife. "Immerhin passt es wunderbar zu deinem Outfit" Sam sah an sich herunter und schmunzelte, bevor sie ihren Rücken in einem Versuch, es sich bequem zu machen verdrehte. "Alles gut?" "Jah. Ist nur immer ein bisschen unbequem." "Kann ich mir gut vorstellen." Ich griff hinter mich und brachte einen langen, ebenfalls schwarzen Mantel zu Tage. "Darf ich Ihnen in die Jacke helfen, Madam?" "Aber immer doch, Mylady", gab meine Freundin gespielt geschmeichelt zurück. Die Knöpfe schloss sie selbst, und dann war es bereits soweit. Ich warf einen Blick auf die Uhr. "Du bist grade pünktlich. Hab ganz viel Spaß, Sammy!" Ich umarmte sie vorsichtig.
Sam lachte und löste sich von mir. Sie war schon fast bei der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte. "Und richte nicht zu viel Chaos an!" "Werd ich schon nicht", rief ich zurück und sah ihr nach, wie sie in die Dunkelheit davon stapfte. Dann machte ich mich auf den Weg zur Theke, wo eine neue Kundin mit kräftigen, roten Haaren stand und sich die Karte ansah...
DREAM CHASERS - 00AM
"Na, öfters hier?" Verwirrt las Sam vor, was auf dem kleinen Streifen Papier stand, den ich ihr überbracht hatte. "Was soll das denn bitte heißen?" "Ich vermute", erklärte ich langsam, während ich den Zettel eindringlich betrachtete, "Er will auf die drohende Apocalypse aufmerksam machen." Dann verdrehte ich die Augen. "Das nennt sich flirten, du Dummnudel! Was denkst du denn?" Prompt kassierte ich einen von Sams berühmten Todesblicken. "Aber... was...?" "Ich schlage vor, du gehst zu ihm und flirtest zurück." "Das geht ni-" Kurzentschlossen hielt ich ihr den Mund zu und schob sie an den Tisch, an dem Ben saß und uns amüsiert aus dem Augenwinkel beobachtete. "Bitte sehr. Habt Spaß, Kinder. Mama geht jetzt und besorgt sich was zu trinken." Unter Bens leisem Lachen und Sams stummem Hilfeschrei drehte ich mich um und stapfte davon. Ich hatte noch andere Kunden zu bedienen.
Nachdem ich Leyo und M ihre H-0s gebracht hatte - "Na endlich, fühlt sich an als würden wir schon eine ganze Woche warten!" - gesellte ich mich zu Curl, die gemütlich an ihrem lilafarbenen Drink nuckelte und in die Nacht hinaus starrte. "Wie steht die Welt?", begann ich das Gespräch und ließ mich neben ihr nieder. Meine Füße legte ich dabei auf der Fensterbank ab, was Ulrich nutzte, um vom anderen Ende des Ladens aus zu mir zu schlängeln und sich mein Bein hochzuwinden. "Ja", meinte er, "Was hat das Farbenmädchen gemacht, als sie nicht da war?"
Curl schmunzelte und trank noch einen Schluck. "Hauptsächlich hab ich dich vermisst, Ulrich." "Oh wie süß." Geschmeichelt drehte er seinen goldenen Körper im Licht, "Muss man ja auch. Ich meine, ich bin so liebenswert." "Und so bescheiden", setzte ich nach. Curl stimmte mir nickend zu. "Und ich habe mir einen Hund zugelegt. Einen kleinen Mops. Er heißt Sun." Ich merkte auf. "Sun wie...?" "Ja, genau so. Was dagegen?" Sie zog eine Augenbraue hoch, lächelte aber. "Nein, ich finde es genial. Aber wird er dem Namen auch gerecht?" "Mein Kleiner ist perfekt!" "Ich sags ja nur, ich sags ja nur. Nicht, dass das Vorbild mal beleidigt ist..."
Curl seufzte "Als ob das passieren würde." Dann schien ihr etwas einzufallen, denn sie wechselte das Thema: "Aber ich habe noch eine Überraschung für dich." Sie beugte sich verschwörerisch nach vorne. "Ist ganz geheim." Neugierig legte ich den Kopf schief. "Ist es das was ich denke, das es ist?" "Genau das. Ich habe den perfekten Ort gefunden."
Vier Stunden später verließ Curl fröhlich winkend das Café. Ich hob ebenfalls meine Hand und sah ihr glücklich hinterher. Endlich war unsere Suche erfolgreich gewesen. Jetzt stand den ersten Vorbereitungen nichts mehr im Weg. Ich warf einen Blick hinüber zu Sam und Ben, die mittlerweile tatsächlich in ein Gespräch vertieft waren und ziemlich glücklich wirkten. Am Tisch neben der Tür machte sich Leyo grade zum gehen bereit, während M in den Sessel gekuschelt eingeschlafen war. Immer noch zufrieden begann ich leise summend, die Gläser einzusammeln und die Tische abzuwischen...
ONE GLASS OF HAPPINESS, PLEASE - 11PM
Curl war zwar erst seit einem Jahr Stammgast im Café, war aber in einer Familie, die in dieser Welt zuhause war, aufgewachsen und fühlte sich deswegen pudelwohl. Sie war so frech wie ihre Sommersprossen und ich hatte ihre sarkastischen Kommentare ausgesprochen gern. Ihr größter Tick war die Farbe Lila, die sie seitdem sie ihre Tattoos hatte abgöttisch liebte. Ich hatte sogar schon fliederfarbenen Kuchen für sie backen müssen. Ganz zu schweigen von den rosa Marshmallows, die ich in einem Regal in der Küche aufbewahrte.
Wichtiger als die Farben meiner Lebensmittel war mir aber momentan Sam, die immer noch zu meinen Füßen saß und missmutig mein Bein massakrierte. "Wie wäre es, wenn du mal langsam wieder zum Vorschein kommst, Süße? Er schaut grade nicht hin..." Sie stoppte mit was immer sie meinem Bein grade antat und sah hoch: "Aber-" "-Nichts aber! Komm hoch oder ich schreie ein paar peinliche Dinge durch den Laden." Ich hatte noch nie jemanden so schnell aufstehen sehen. Sam richtete sich die Haare und spähte versucht unauffällig in die Richtung des Mannes. Der sah just in dieser Sekunde von seiner Arbeit auf und lächelte sie breit an. Ich drehte mich grinsend zu ihr. "Wow, Sam, der mag dich e- Sam?" Ich musste mich umsehen, bis ich bemerkte, dass sie wieder unter der Theke saß. Unwillkürlich vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. "Das ist ja nicht zum aushalten!"
Nachdem ich wütend grummelnd davon gestopft war und die arme Curl mit ihrem Getränk alleine gelassen hatte, beschloss ich, kurz nach Leyo und M zu schauen. "Und? Wie geht es euch beiden?", fragte ich, als ich an ihren Tisch trat. Allerdings dauerte es etwas, bis ich tatsächlich bemerkt wurde. Die Grünhaarige und der Blauhaarige waren nämlich in eine Diskussion über Computer vertieft. Leyo zeigte andauernd erklärend auf ihren Laptop oder tippte aufgeregt auf die Tasten und M gestikulierte so wild, dass er sich beinahe die Hand am Tisch anstieß. Als ich mich zum wiederholten Male räusperte, sahen die Beiden schließlich auf. "Gut das du da bist", meinte Leyo, "Kriegen wir ein Glas Happiness, bitte. Also, Zero und für uns beide eins. Sorry, ich bin grade ein bisschen geflasht." "Geht klar." Ich nickte mit dem Kopf in ihre Richtung. "Ihr scheint euch ja gut zu verstehen." M schob seine Brille höher auf seine Nase und strahlte mich an. "Sie versteht genauso viel von Computern wie ich. Und es macht ihr nichts aus, wenn ich auf Russisch fluche!"
"Klingt gut. Da scheint sich wer gefunden zu haben." Beide nickten. "Was ist mit Sam los?", wollte Leyo dann wissen. Ich musste seufzen. "Sie hat ein Auge auf Mister pinke Haare da drüben geworfen und dreht durch, weil er sie auch zu mögen scheint." "Der ist ja auch heiß! Aber sind die Haare nicht eher rot?" Ich zuckte die Schultern. "Also ich sehe da pink." Nachdenklich biss M sich auf die Lippe. "Und warum verhält sich deine Freundin so komisch?" Ich blickte zur Theke, hinter der sie immer noch nicht hervorgekommen war und dann zurück zu den Beiden. "Ich weiß nicht. Das ist einfach ihre Art. Sie wünscht sich eine Beziehung, traut sich aber nicht auch etwas dafür zu tun. Meistens ist sie einfach nur unsicher." "Kann man ihr da nicht irgendwie helfen?" "Ich weiß nicht. Meistens versuche ich, sie zu ermutigen und ihr einen Schubs zu geben, aber das klappt nicht wirklich." Ich überlegte eine Sekunde. "Ich glaube, ich rede einfach mal mit Mr Pink." "Rot. Und gute Idee." Ich schmollte: "Fangt ihr nicht auch noch damit an!"
Ich beschloss, meinen Plan direkt in die Tat umzusetzen und fragte, ob sie noch ein paar Minuten auf ihre Getränke verzichten könnten, was die Zwei grinsend bejahten. Dann machte ich mich auf den Weg zu Mr Pink, der aufgehört hatte sich Notizen zu machen nun auf seinem Stift kaute und in die Dunkelheit hinaus starrte. Vorsichtig lies ich mich auf dem Platz ihm gegenüber nieder. "Hi." Sein Blick klärte sich und er drehte sich zu mir. "Hi.", er machte mit seinem Stift eine Bewegung als wäre es ein Schwert und er wolle mich einschüchtern, "Gib mir ein anderes Wort für eintönig." "Äh... Monochrom?" Ich schielte überrascht auf den Kugelschreiber vor meiner Nase. Dieser wurde abrupt weggenommen, denn Mr Pink schien zufrieden und kritzelte das Wort nun auf eins seiner Blätter.
"Wie kann ich dir helfen?", fragte er beiläufig. Ich fuhr mir durch die Haare und versuchte, sie ein wenig zu ordnen, während ich nach einem guten Anfang fürs Vortragen meines Anliegens suchte. "Es geht um... meine Freundin." "Die Süße, die sich hinter der Bar versteckt?" Ich nickte. ""Weißt du, sie mag dich. Aber sie ist bei solchen Sachen meistens verdammt schüchtern und sturköpfig." Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Ich dachte schon, sie kann mich nicht ausstehen." Ich tarnte mein "So wie sie sich benimmt!" mit einem Husten. "Ich an deiner Stelle würde sie direkt ansprechen. Bei allem anderen schafft sie es höchstens, tatsächlich im Boden zu versinken." Er lachte aber ich runzelte die Stirn. "Was? Das traue ich ihr eher zu, als dass sie über ihren Schatten springt."
Er überlegte kurz und riss dann ein Stück Zettel von seinen Papieren ab. Dann kritzelte er etwas darauf, faltete ihn zusammen und reichte ihn mir. "Gibst du ihr das? Sag ihr es ist von Ben." Ich nahm den Zettel zufrieden entgegen. "Ich werde es ausrichten." Damit stand ich wieder auf und nickte ihm zu. "Nette Haarfarbe übrigens." Er lachte nur, während ich mich auf den Weg machte, die kleine Botschaft zu überbringen...
Ben
7TH ROAD TO HELL - 9PM
In einigen der Städte schien die Sonne, in Anderen war es bewölkt. In vielen dämmerte es bereits und in ein paar stand groß und bleich der Mond am Himmel. Doch die Tageszeit und Wetterlage taten in der schmalen Seitengasse, die verborgen und eingekauert an einer der Straßen der Städte lag, nicht viel zur Sache. Dunkle Schatten von den schmalen, hohen Häusern mit eingefallen wirkenden Fenstern und abgeblätterter Farbe sorgten, egal zu welcher Zeit, für eine zwielichtige Stimmung. Wer sich nachts in die Gasse verirrte musste feststellen, dass nur eine der Straßenlaternen funktionierte und ein zitterndes, fahles Licht auf den Gehweg vor der Hausnummer 4 warf. Das einzige Gebäude, in dem Nachts Lichter brannten war das, was am Ende der Straße stand. Ein kleines, eher gedrungen wirkendes Haus mit nur zwei Stockwerken und großen Fensterfronten im Erdgeschoss. Es sah fehl am Platze aus, gemütlich und heimelig zwischen den Häuserriesen, die sich ächzend und stöhnend über der Gasse erhoben.
Wer besonders aufmerksam war, blieb vielleicht beim abbiegen stehen und entdeckte das verschmutzte Straßenschild, das schief an einer Häuserwand angebracht war und der kleinen Straße ihren charakteristischen Namen gab. Und wer immer um genau Neun Uhr abends, sei es noch hell oder bereits dunkel in den Städten, den Schriftzug "Monster Road" las würde sich grade rechtzeitig umdrehen um zu sehen, wie in dem Haus am Ende der Straße, der Nummer 7, die Lichter angingen.
"Wird es voll heute?", fragte ich Sam. Sie hatte ein außergewöhnliches Gespür für diese Frage. "Nein", meine braunhaarige Freundin schüttelte den Kopf. Ich nahm ihr ein Fass Happiness Zero ab und verstaute es hinter der Theke. Sam zupfte sich eine querstehende Feder zurecht und strich dann vorsichtig über ihren Flügel. Ich trat zu ihr und begann das gleiche auf der anderen Seite. Grade als ich meine Finger über die langen, glatten Federn an der Flügelspitze fahren ließ, ertönte draußen ein seltsames Geräusch. "Sam?" "Ich habe es auch gehört, ja." Sie drehte sich wachsam in Richtung Tür. Da war es wieder und dieses Mal erkannte ich das Geräusch. Fluchen und hastige Schritte drangen von vor der Tür ins Café herein. Kurzentschlossen sah ich meine Freundin an. "Ich gehe nachschauen."
Als ich in die Dunkelheit der Straße hinaus trat, brauchte ich eine Sekunde um meine Augen an die Nacht zu gewöhnen. Dann sah ich, was der Auslöser des Lärms war. Drei große, bullige Männer hatten sich mitten auf der Straße um einen Kleineren herum aufgebaut. Ich hörte einige Flüche in Russisch und sah, wie einer der großen Männer einen Fausthieb in die Richtung des Kleineren setzte. Der wich zurück und trat dadurch beinahe in den Lichtkreis, der aus den Fenstern des Cafés auf den Asphalt fiel. Ich brauchte nicht länger als eine Sekunde, um die Situation einzuschätzen. Ich zog den jungen Mann zu mir ins Licht und stellte mich beschützend vor ihm. Meine Hand lag auf dem Kopf des steinernen Löwen zu meiner Linken.
Die bulligen Männer kamen heran und stellten sich mit verächtlichem Gesicht vor mich. "Verschwindet von hier", sagte ich ruhig. Der Mann, der offensichtlich der Anführer der Drei war baute sich vor mir auf. "Ich habe keine Angst vor dir, Püppchen.", erklärte er herablassend, "Wir haben was mit dem Wurm da zu klären, also geh besser aus dem Weg." Ich schaute ihm direkt in sein hässliches Gesicht. "Ich glaube nicht, das ich das tun werde. Pass auf, es gibt genau zwei Möglichkeiten. Nummer eins, ihr tut das Kluge und verschwindet. Nummer zwei, ihr müsst erst an mir vorbei." Der kleinere Mann, den ich hinter mich geschoben hatte, erhob Einspruch. "Hören Sie, Sie müssen nicht wegen mir in Schwierigkeiten kommen, ich kann-" "Kannst du nicht."
Der Mann vor mir brach in schallendes Gelächter aus. Er drehte sich zu seinen Freunden und klopfte sich auf die Schenkel, immer noch am lachen. Dann wurde sein Gesicht in Millisekunden ernst, er schnellte herum und schlug zu. Seine Faust kollidierte mit der Hand, die ich zum Schutz erhoben hatte. Ein Ruck ging durch seinen Körper, man konnte die Erschütterung in seiner Hand beinahe sehen. Ich hörte Knochen brechen. Der Mann ging unter Schmerzen zu Boden, während ich immer noch dastand, mit der einen Hand erhoben und der anderen auf dem Kopf des Steinlöwen liegend. Die anderen beiden Männer sahen mich entsetzt an. "Löwen", sagte ich zuckersüß, "es ist Essenszeit." Und die steinernen Tiere sprangen auf und fielen die Männer an. Ohne dem ganzen einen Blick zu würdigen nahm ich den kleineren Mann und leitete ihn ins Innere des Cafés.
"Wow", kommentierte der Mann das Innere des Cafés, "Welcome to..." Ich hatte zum ersten Mal die Chance, ihn richtig zu betrachten. Seine Haare waren schwarz blau gefärbt, und er trug ein Band T-Shirt. Er schien gut an diesen Ort zu passen und ich fragte mich unwillkürlich, ob er ohne meine Hilfe hierhin gefunden hätte. Jetzt drehte er sich ziemlich aufgewühlt wirkend zu mir: "Was bitte war das da eben? Ich kann meine eigenen Probleme klären! Also... danke fürs Einschreiten, aber das war wirklich nicht nötig. Und wie- wie haben Sie das gemacht? Warum haben sie ihm die Hand brechen können? Was waren das für Tiere? Haben sie die Männer getötet?" "Nein. Die Steinlöwen verscheuchen sie nur." "Ah. Und- und der Rest? Was ist das hier?"
Sam kam hinter der Theke hervor. Beim Anblick ihrer großen Flügel wurden die Augen des Mannes groß. Sie lächelte schief. "Stell dir den Ort vor, den du dir in deiner Kindheit immer gewünscht hast. Auf den du mit 11 gewartet hast, den du in deinem Kleiderschrank suchtest oder dir nachts erträumt hast. All die Traumfiguren, mächtige alte Zauberer, schöne Elfen und erfahrene Krieger. Und jetzt stell dir vor, dieser Ort, diese Menschen, sind erwachsen geworden. Das sind wir. Das ist das Café." Sie hielt inne und sah mich an. Irgendwann hatten wir uns geeinigt, dass dies die einfachste Erklärung sei. Sam hatte es immer schon als zu kitschig empfunden, aber ich war glücklich damit. "Wie heißt du?", fragte ich freundlich. "M", sagte der junge Mann und lies sich ergeben in einen der Sessel plumpsen...
M
CUT THE NIGHT TO HOURS - 04AM
"Letzte Runde!" Erschöpft aber glücklich warf ich das Geschirrspültuch, mit dem ich bis grade Gläser abgetrocknet hatte in die Ecke und lehnte mich an die Theke. Ulrich klemmte an meinem Arm und rollte sich schläfrig ein, wobei er sich noch fester um mein Handgelenk schlang. Von den wenigen Leuten, die sich zu dieser Zeit noch im Café befanden stand keiner auf, um sich noch ein Getränk zu holen, nur Honey hob kurz die Hand. Sadia war vor ein paar Minuten hinaus in die morgendliche Dunkelheit verschwunden, immer noch leise am schimpfen, und Sam hatte sich bereits nach oben zurückgezogen. Ich schüttete zwei Gläser H-0 ein und setzte mich zu Honey und Leyo, die ihren Laptop grade zuklappte. "Endlich fertig?" Sie schloss müde die Augen. "Fast. Bin dann wohl gezwungen, mich morgen Nacht nochmal hier sehen zu lassen." Ich lachte. "Na so schlimm ist es hier nicht, oder?" Ihr heftiges "Doch" wurde von einem kleinen, sarkastischen Lächeln begleitet, was Honey zum Lachen brachte.
"Du bist wie ich, damals, weißt du?" "Wie?", Leyo klang ernsthaft überrascht, "Du bist nicht hier aufgewachsen, oder so? Ihr wirkt so vertraut..." Honey lies die bernsteinfarbene Flüssigkeit in ihrem Glas kreisen und sah keinen von uns an. "Irgendwie schon, aber... Ich war einmal genau wie du. Das kleine Mädchen, das tief ins Wunderland geworfen wurde. Das Kaninchen waren in meinem Falle die großen Steinlöwen am Eingang." "Sag nicht die sind wie Ulrich und die Schädel?" "Nein", ich strich gedankenverloren über die metallenen Schuppen an meinem Arm. Ulrich war eingeschlafen, aber seine winzige, dünne Zunge flatterte beim Atmen über meine Finger. "Die Löwen sind ein Schutzmechanismus. Sie erwachen zum Leben, wenn das Café in Gefahr ist, oder jemand der ins Café gehört."
Die Blonde sah uns immer noch nicht an, offensichtlich in Erinnerungen versunken. "Ich war noch jung damals, ein Kind. Ich wusste nichts vom Café, als ich das erste Mal in die Monster Road kam." Leyo runzelte die Stirn. "Wieso-" Ich schnitt ihr das Wort ab. "Weil es einfach Menschen gibt, die dafür bestimmt sind das Café zu finden, diesen Teil der Welt zu finden. Es ist kompliziert, aber auf einer gewissen Weise war es kein Zufall, dass du hier her gekommen bist." "Ich war damals auf der Flucht. Ich war eine kleine Taschendiebin und man hatte mich erwischt. Der Mann war groß und sah gefährlich aus, und ich stand in einer kleinen Seitenstraße in der Sackgasse. Ich habe noch nie in meinem Leben solche Angst gehabt.
Und dann, ganz plötzlich, war da dieses unheimlich tiefe Grollen. Es klang wie ein riesiges Ungeheuer. Dann trat ein gigantischer steinerner Löwe aus den Schatten Der Mann ist weggelaufen, aber ich war vor Angst gelähmt." Sie machte eine Pause. "Du musst dir vorstellen, ich war damals noch viel kleiner. Ich habe zu dem Tier hochschauen müssen. Und es stand da einfach, immer noch am Grollen, und hat mich angesehen. Nur angesehen, bis er plötzlich aufgehört hat zu knurren und mir zugezwinkert hat. Ab dann hatte ich keine Angst mehr. Er hat mich ins Café gebracht und seitdem komme ich immer her, wenn ich die Zeit dazu habe."
Wir alle schwiegen, als Honey ihre Geschichte beendet hatte. Ich erinnerte mich an die Nacht, als wäre es gestern gewesen. Keine neun Jahre alt war sie gewesen, mit goldenen Locken und einem verwegenen Grinsen. Ich hatte sie sofort ins Herz geschlossen. "Wie war es damals hier?", wollte Leyo wissen. Honey musste sich nicht mal umsehen. "Es ist immer noch genau gleich, bis ins letzte Detail."
Wir schwiegen erneut. Jeder war in seinen eigenen Gedanken versunken. Honey dacht über die Vergangenheit nach, über ihre Kindheit. Ich sah mich in meinem Café um, dachte daran wie beständig es war und wie gern ich es hatte. Leyo verarbeitete all das Neue, das sie in dieser Nacht erfahren hatte und genoss die Stille. Es war wirklich still geworden. Die Schädel schliefen bereits, genauso wie Ulrich. Nur noch zwei Gäste blickten schweigend auf ihre Getränke oder hinaus in die Nacht. Es war so ruhig, das es Leyo vorkam als könnte sie das Uhrwerk der Zeit selbst hören. Ein leises Ticken, wie ein mechanisches Uhrwerk, so schien es ihr. Sie seufzte leise. In was für eine wunderbare Welt war sie hier geraten? Sie wusste es nicht, aber sie wollte unbedingt mehr erfahren...
BOSS FIGHT - 00AM
"FUCK YEAH!" Leyo war aufgesprungen und streckte ihre Faust in einer Siegesgeste in die Luft. "Schnauze!", rief Ulrich, immer noch besorgt wegen Sadia, "Deine positiven Emotionen haben hier nichts zu suchen. Komm wieder wenn du am heulen bist." Leyo wandte sich mit einem Todesblick in seine Richtung. "Hat hier jemand schon mal 'ne weinende Metallschlange gesehen? Ich auch nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass es lustig ist." "Was willst du tun? Mich mit Deadlines abwerfen?" "Ich dachte eher daran, dich in meiner Hot Soap zu ertränken. Du weißt doch, Metall sinkt!" Sadia kommentierte den Schlagabtausch, in dem sie sich mit der Hand Luft zufächelte und leise "Uuuuuuuh" machte, während die Schädel sich nebeneinander auf der Fensterbank versammelten und begannen "Macht euch fertig! Macht euch fertig!" zu summen. Die Mitglieder des Sportvereins, die vor etwa einer Stunde das Café in Beschlag genommen und bereits ihre ersten Runden Black Amber hinter sich hatten, verstummten nacheinander und blickten interessiert auf die Streitenden.
Ulrich richtete sich zu seiner vollen Größe auf. "Pass bloß auf. Schlangen die bellen, die beißen auch!" Leyo verdrehte nur die Augen. "Boah ey, spiel mal Minecraft!" Das verwirrte Ulrich offensichtlich. "Was zum Geier ist-" Dies war der Moment, in dem ich entschied, dass ich genug hatte. Ich schnappte mir meinen Schlangenfreund und verfrachtete ihn neben die Türglocke an die Wand, wo ich ihn in eine Halterung einschraubte. "Nein", bettelte er, sobald ihm klar wurde, was ich tat, "Bitte. Nicht über die Tür! Ich tue alles, aber nicht die Tür!" Die kleine Glocke neben ihm begann zu strahlen. "Ulrich! Du kommst mich endlich besuchen. Immer versprichst du, du würdest nach mir schauen, aber du tust es so selten. Wir haben so viel zu bereden. Ich muss dir unbedingt erzählen, wie ich..." Sie schlang sich enthusiastisch um ihn herum während er mir einen letzten flehenden Blick zuwarf. Ich drehte mich zufrieden um und schaute in die Runde. "Also. Was ist so toll, Leyo?"
Die Angesprochene tat ihr Bestes, sich das Lachen zu verkneifen, versagte aber kläglich. Schließlich konnte sie sich fangen und antwortete mir. "Ich hab den Aufsatz grade noch rechtzeitig fertig gekriegt und abgeschickt." "Ist doch klasse. Wie viele kommen jetzt noch?" Ihre Gesicht verdüsterte sich. "Danke. Ich war grade dabei, mich zu freuen. Toll, dass du mich daran erinnert hast, dass noch drei von den Dingern auf mich warten. Super." Sie ließ sich zurück in ihren Sessel fallen, während ich entschuldigend den Kopf zwischen die Schultern zog. Ich hielt es für besser, sie nicht weiter zu reizen und verzog mich, nach dem ich mich ein letztes Mal erkundigt hatte ob es Sadia gut ging, hinter die Theke.
Einige Stunden später, die Mitglieder des Sportvereins hatten zwischendurch Karaoke und Werf-den-Ulrich-ab gespielt und waren mittlerweile nicht mehr wirklich ansprechbar, kam Honey etwas verschlafen wirkend die Treppe zum Café herunter. "Na, weilst du auch wieder unter den Lebenden?", kommentierte ich scherzhaft, bekam dafür jedoch sofort von Sam ein Handtuch über den Kopf gezogen. "Hey. Nur weil du nie Schlaf brauchst..." "Wieso werde eigentlich immer ich geschlagen?", fragte ich säuerlich. Honey lachte und wirkte gleich etwas wacher. Sie war am Fuß der Treppe angekommen und sah sich jetzt nach einem Sitzplatz um. Da der Sportverein jedoch beinahe die Hälfte meiner Tische einnahm, war nur noch an Leyos Tisch ein Sessel frei. Honey ging zu ihr herüber und wollte sie ansprechen, merkte aber schnell, dass die Grünhaarige viel zu vertieft in ihre Arbeit war. Schulterzuckend ließ Honey sich einfach neben ihr nieder.
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, nach Honeys Bestellung zu fragen, sondern zapfte direkt ein Happiness Zero. "Na? Gut geschlafen?", fragte ich, als ich das Getränk vor ihr abstellte. Leyo wurde durch meine Worte offensichtlich aus ihrer Trance geweckt. "Hä? Hast du nicht gesagt, dass niemand in der Monster Road schläft?" Ulrich hatte anscheinend mitgehört, denn nun meldete er sich, immer noch sauer klingend, von seinem ungünstigen Platz an der Tür aus zu Wort: "Ja und? Du hast dieses Café ja auch von Deutschland betreten und Honey von Dublin aus. Wir nehmen es hier nicht so genau mit der Logik." Leyo machte ein Gesicht, als hätte sie grade aufgegeben, jemals wieder irgendetwas verstehen zu wollen. "Ich frage einfach nicht, oder?" "Nein, besser nicht", meinte Honey kopfschüttelnd und nippte an ihrem Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
"Und was ist das?", wollte die Grünhaarige interessiert wissen. "Happiness Zero, oder H-0", antwortete ich, "das beliebteste Getränk hier. Es gibt auch noch Happiness ohne Zero, aber davon wird man immer ganz leicht im Kopf, deswegen trinkt es eigentlich keiner. Obwohl ich es meiner Schwester gerne mal andrehe..." "Ah. Wie geht es ihr eigentlich.?", wollte Honey wissen. Ich grinste "Sie kommt uns demnächst besuchen." "Das ist doch toll!" "Ja, nicht wahr? Ach, übrigens: Leyo, das ist Honey. Stammgast und Freundin. Honey, Leyo. Heute zum ersten Mal hier und hoffentlich bald wieder dabei." "Worauf du dich verlassen kannst", erklärte Leyo, "ich kann mich hier überraschend gut konzentrieren. Und Hallo." Sie reichte der Blonden die Hand.
Honey nahm sie strahlend entgegen und hielt sie fest, als türkise Tintenzweige ich von ihrer Schulter herab über ihren Arm ausstreckten, bis sie die verschränkten Hände umwucherten. Leyos Augen wurden einmal mehr tellergroß. "Keine Angst", erklärte Honey mit ruhiger, sanfter Stimme, "Das Tattoo ist mein Lebensbaum. Ich vermerke nur die neue Bekanntschaft." Die Äste und Zweige zogen sich langsam wieder zurück, wobei sich zarte Knospen an den Spitzen bildeten. Ich sah begeistert zu, denn obwohl ich diesen Vorgang schon oft beobachtet oder miterlebt hatte, war es jedes Mal aufs Neue faszinierend.
Leyo wendete sich kopfschüttelnd und demonstrativ von all den komischen Dingen ab und fokussierte sich wieder auf ihren Rechner. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen und sie griff nach einem ihrer vielen Hefte. "Weiß einer von euch zufällig was über das Thema hier? Ich glaube, das wird mein Bossgegner heute Nacht." "Zeig es Honey", sagte ich nur, "Das ist die Spezialistin für das Wissen der unnötigsten Dinge."
Die Männer vom Sportverein schienen sich alle zusammen zum gehen fertig zu machen und ich stand schnell auf, um ihnen lächelnd die Tür aufzuhalten, als sie in die kalte Nachtluft hinaus traten. "Einen schönen Morgen noch", rief ich ihnen hinterher, "Und bis nächsten Monat!" Dann schloss ich die Tür und entschied mich, Ulrich aus seiner miserablen Lage zu befreien. Als ich ihn losgemacht hatte, biss er mir als Erstes trotzig in die Hand. Ein Glück, dass ich seine Zähne stumpf geschmiedet hatte, dachte ich nur, als ich zur Theke zurückkehrte.
"Sam?", die Braunhaarige, die grade einige Gläser getrocknet hatte, sah auf. "Mach Schluss für heute und setz dich zu Honey und Leyo", riet ich ihr. "Ich erledige den Rest." Sie trocknete das letzte Glas ab und stellte es zurück ins Regal, danach fuhr sie sich erschöpft mit der Hand über die Stirn. "Geht klar." Sie umarmte mich kurz und lief dann zum Tisch der Anderen, wo sie sich trotz der gewaltigen Flügel auf ihrem Rücken grazil in einen Sessel sinken ließ. Ich lächelte zufrieden in mich hinein und begann, für ein bisschen Ordnung in unserer Küche zu sorgen...
Honey
ONE WAY TRIP TO TOMORROW - 11PM
Die Tür des Cafés wurde mit Wucht aufgestoßen und eine junge Frau mit rosafarbenen Haaren kam wütend hinein gestapft. Mit einem grimmigem Ausdruck im Gesicht schmiss sie die Tür wieder zu und polterte zur Theke, ohne sich um die verwirrten Blicke der Gäste zu kümmern. Selbst Leyo hatte mit dem konzentrierten Tippen aufgehört und schaute verwundert auf. "Black Siren", schnauzte die Frau, "Jetzt!" Dann schmiss sie sich auf einen Barhocker und verschränkte schmollend die Arme. Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille, bis:
"Yo digga, ich töte den Scheißkerl ... Wer immer es ist." Der Totenkopf namens Apocalypse Rüdiger hatte gesprochen. "Krass man", meldete sich auch Paddy O'Brien zu Wort, "Sag was los ist. Wir machen die alle fertig." Auch Kasimir klapperte besorgt mit seinen Zähnen. "Alles gut, Sadia?" Die Frau an der Theke stöhnte. "Geht klar, Jungs. Alles in Ordnung. Es ist nur- Argh!" Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. Ich reichte ihr stumm ihren Drink, eine Mischung zwischen Siren und Black Amber. Sie nahm den Stiel des Glases zwischen die Zähne und trank einen großen Schluck. "Tut mir Leid, hier so einen Aufstand zu machen. Ich könnte nur grade echt-" Sie sprach nicht weiter, sondern biss verdrossen auf den Glasstiel. Ich legte meine Hand über ihre. "Alles in Ordnung, Sadia?" Sie verdrehte die Augen. "Sieht man doch. Ich kotze vor Glück!"
Ich nickte verstehend. "Sam ist grade weg und ich muss die Anderen bedienen. Schnapp dir die Schädel und mach es dir in der Ecke gemütlich. Ich komme sobald ich kann." Sie nickte ergeben, nahm ihr Getränk und setzte sich an den Tisch, der in der äußersten Ecke des Raumes stand. Die Schädel und auch Ulrich folgten ihr. Schnell lief ich ins Hinterzimmer und brachte Sadia eine Wolldecke, damit sie es sich gemütlich machen konnte. Sie nahm die Decke dankend an und rollte sich komplett darin ein. Dann begann sie leise mit den Schädeln zu reden. Ich beeilte mich unterdessen, wieder Bestellungen aufzunehmen.
Kurze Zeit später bemerkte ich, das bereits Leyos zweite Tasse Hot Soap leer neben ihr stand. Sie saß vollkommen konzentriert vor ihrem Computer und hackte auf die Tasten ein. Zwischendurch hörte man sie entnervt stöhnen oder gähnen, aber noch gab sie nicht klein bei. "Noch einen?", fragte ich und deutete auf ihre Tasse. "Die Mitternachtsrunde geht aufs Haus." Sie grinste mich dankbar an. "Klasse. Hey, ich bin schon fast fertig mit dem er-" Ihr Lächeln gefror. "Sagtest du "Mitternachtsrunde?" Wie viel Uhr ist es?" "Keine Sorge" Ich zog meine goldene Taschenuhr hervor. "Du hast zwanzig Minuten. Ich dachte nur, ich mache dir das Angebot jetzt, wo du es auf jeden Fall brauchen kannst." Sie ließ sich nach hinten in ihren Sessel fallen, einen Ausdruck der totalen Erleichterung auf dem Gesicht. "Ach so. Dann klar, gerne. Hast Recht, ich brauchs."
Sie schwieg eine Sekunde. "Sag mal, was war das da eigentlich grade?" Wir sahen beide in die Ecke, in der Sadia immer noch aufgebracht mit den Totenköpfen diskutierte. "Das ist eine Stammkundin, eine Freundin. Sie hat einen leichten Hang zur Dramatik..." "Ja, das habe ich gesehen." Wir lachten. "Aber die Leute hier, die hat das gar nicht interessiert. Warum?" "Oh", ich sah mich um und lies meinen Blick über die anwesenden Gäste schweifen. "Ich habe nicht so viele Kunden. Die meisten davon kenne ich persönlich, mit einem Großteil bin ich befreundet. Sie kommen alle hier hin und bringen ein kleines Stück ihres Lebens mit. Warum sollten sie sich dann aufregen wenn jemand Anderes das auch tut?" Leyo legte nachdenklich den Kopf schief. "Das ist auch eine Möglichkeit, die Dinge zu sehen." Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu. "Ich mach hier weiter, ok? Ich muss das fertig kriegen..." "Klar doch." Ich sammelte ihre Tasse ein und brachte sie zur Spüle hinter der Theke.
Sam kam grade die Treppe zu den Gästezimmern hinunter. "Und?", wollte ich wissen. "Honey schläft wie ein Stein." Die Braunhaarige drängelte sich an mir vorbei und schnappte die Tasse aus meiner Hand. Natürlich konnte sie es nicht lassen, mir bei dieser Gelegenheit mit ihren Federn durchs Gesicht zu wischen. Ich verpasste ihr eine leichte Kopfnuss und lies sie die Küche übernehmen. Schnell wischte ich mir die Hände an meiner Schürze ab und lies mich neben Sadia in einen Sessel fallen.
"Wie stehts?" Sie hatte noch immer den Black Siren in der Hand. "Ach", murmelte sie, "geht schon." "Was war denn los?" Sie verzog das Gesicht. "Dieser Typ war los! Macht erst mich übel an und gräbt dann plötzlich jüngere Mädchen aus meinem Viertel an! Heute haben die Eltern die Polizei gerufen." Ich biss mir auf die Lippe. Das klang gar nicht gut. "Hast du Probleme gekriegt." "Nee", sie schüttelte den Kopf, "Warum sollte ich? Bin nur mies drauf wegen der Geschichte." "Kann ich verstehen." Plötzlich spürte ich, wie sich etwas auf meinen Arm bewegte. Es war Ulrich, der von der Fensterbank herüber gekrochen war und mit seinem goldenen Schuppenkörper jetzt meinen Arm umschlang. "Wir konnten das auch verstehen", meinte er abschätzig, "Und wir wollen sie aufmuntern." Paddy, der Schädel, wollte das bestätigen. "Jo, deswegen haben wir beschlossen, dass sie in unser episches Freundschaftsbuch schreiben darf!" "Äh", meinte ich, "Ihr habt doch gar kein-" "Doch, haben wir. Seit heute.", fiel Apocalypse Rüdiger mir schnippisch ins Wort. "Wir brauchen nur noch das Buch."
Sadia musste lachen. "Ihr seid süß. Und das obwohl ihr tot seid..." Dafür erntete sie einen vorwurfsvollen Blick von mir. "Ermuntere sie doch nicht auch noch! Sie tanzen mir jetzt schon auf der Nase herum." "Upps." "Ja allerdings. Jetzt darf ich mich tags über aus dem Bett quälen und meinen redenden, schlecht erzogenen Totenschädeln ein Freundebuch besorgen." Sie starrte betroffen auf ihr Getränk. "Tut mir Leid." Ich winkte ab. "Ist schon in Ordnung. Solange du wieder lächelst..." Sie stellte ihr Getränk auf den Tisch und wickelte sich aus der Decke aus. "Weißt du was-" Plötzlich wurde sie von einem lauten Ruf unterbrochen...
Sadia
NO ONE SLEEPS IN THE MONSTER ROAD - 10PM
Das Mädchen sah sich staunend um. Ganz klein und verloren stand sie im Eingang des Cafés und versuchte all die wundersamen und verrückten Dinge aufzunehmen, von denen sie plötzlich umgeben war. Ihr Blick schnellte von den schwebenden Lichterketten an Fenstern und Theke, die den Raum in warmes Halbdunkel tauchten, über die immer noch streitenden Schädel, zwischen denen Ulrich umher zischte und versuchte zu schlichten. Über Sam mit ihren großen, dunklen Flügeln, dem kleinen Gecko, der grade vorwitzig über ihr Gesicht lief und dem bernsteinfarbenen Drink, den sie sich einschenkte, bis ihr Blick schließlich an mir hängen blieb. Ich lächelte nur. "Willkommen im 7th Monster Road Café."
Zögerlich kam sie auf die Theke zu, die Augen dabei immer noch umherwandernd. Schließlich stand das Mädchen direkt vor mir und trat unsicher von einem Fuß auf den Anderen. Ihre Haare waren grün, nur ihr Pony leuchtete in strahlendem Weiß und sie trug zwei schwarze Lippenpiercings. "Äh... Hallo. Draußen steht, Sie haben die ganze Nacht offen. Das stimmt doch... Oder?" "Haben wir", nickte ich. "Das ist gut", sie kratzte sich am Hinterkopf, "Ich hab Morgen nämlich ein paar dicke Abgabetermine und kann die Zeit gut gebrauchen." "Mach es dir einfach gemütlich." Ich deutete auf die freien Tische mit den bequemen, allerdings bunt zusammengewürfelten Sesseln. "Kann ich dir etwas zu trinken bringen?" "Äh, ja, gerne..." Sie blickte sich auf der Suche nach einer Karte um, "Was gibt's den hier alles?"
Ich reichte ihr ein Menü, "Alles bis auf den Black Amber ist alkoholfrei." Interessiert steckte sie ihre Nase in die Karte, runzelte aber verwirrt die Stirn. "Was zum Teufel ist Hot Soap?" Man konnte sehen, wie sie sich bei dem Gedanken schüttelte. Ich lächelte nur kryptisch. " Willst du dich überraschen lassen? Ich verspreche, es schmeckt." Sie überlegte einen Moment und zuckte dann die Schultern. "Warum nicht? Hier ist eh alles vollkommen verrückt." Mit diesem Satz drehte sie sich um und suchte sich einen Platz am Fenster. Sie ließ sich in den zerknautschten Sessel fallen und lehnte erst mal den Kopf zurück. Dann nahm sie ihre Tasche und verteilte einen beachtlichen Stapel Bücher, Hefte und Zettel auf dem Tisch vor ihr. Ich machte mich schmunzelnd daran, ihr die Hot Soap vorzubereiten.
Fünf Minuten später ließ ich mich auf dem Sessel neben dem Mädchen nieder und stellte ein kleines Tablett mit dem Getränk vor sie. Ich warf einen Blick auf ihre Unterlagen. "Sieht böse aus." "Ist es auch", sie legte den Kopf auf den Tisch. "Vier Aufsätze, von denen der hier", sie deutete auf ihren Laptop, der momentan vor ihr stand, "heute noch raus muss." Ich zog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. "Nett." "Nicht wirklich." Ich lehnte mich etwas zurück. "Wie heißt du eigentlich?" "Leyo." Sie lächelte, richtete sich wieder auf und nahm interessiert die Tasse Hot Soap in die Hände. "Und du?" Ich blieb ihr die Antwort schuldig, da sie mich nach dem ersten, vorsichtigen Schluck von dem Getränk überrascht ansah. "Das ist ja Kakao!" Ich zog eine Augenbraue hoch. "Es schmeckt wie Kakao." Sie blickte verwirrt auf das Getränk herunter und machte dann eine wegwerfende Handbewegung. "Von mir aus. Ich bin nur eine arme Studentin, ich hab keine Ahnung von dieser Szene." Ich sah sie an. "Das hier ist keine Szene!" "Ach nein? Und krabbelnde Tattoos sind ganz alltäglich?" "Nachts schon." Sie schnaubte. "Normale Leute schlafen nachts." "Niemand schläft in der Monster Road."
Ich erhob mich wieder von dem Sessel neben ihr. "Wenn du etwas brauchst, ruf einfach. Ich bringe es dir gerne." Dann ging ich zurück zur Theke. Ich fragte mich, wie sie das Café gefunden hatte. Ihr schien die gesamte Umgebung vollkommen neu zu sein. Im Stillen ertappte ich mich bei der Hoffnung, dass sie öfter vorbei kommen würde, ich hatte so das Gefühl, dass wir uns blendend verstehen würden.
Sam unterhielt sich angeregt mit einer Kundin, als ich wieder hinter die Theke trat. Es war Honey, eine zierliche, hübsche Frau mit goldblauen Haaren und einem Tattoo in Form eines Baumes, der immer weiter wuchs. Soweit ich es beurteilen konnte, blühten auf ihrem Rücken grade unzählige kleine Blumen, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie zufrieden war. "Na du", begrüßte ich sie, "Wo hast du dich jetzt schon wieder rumgetrieben?" Sie strahlte mich an und umarmte mich. "Dublin. Ich treffe grade einige Vorbereitungen für ein neues Projekt. Aber erzähl, wie geht es euch? Immerhin steht der Laden noch. Ich habe ja jedes Mal ein bisschen Angst..." "...Das wir das Café in die Luft jagen? Denk nicht immer so schlecht von uns!" Ich boxte ihren Arm. "Nein, hier läuft es gut. Alles wie immer, eigentlich." Honey wollte etwas sagen, doch plötzlich musste sie gähnen. Als sie fertig war, rieb sie sich fahrig über die Augen. "Ich wollte fragen, ob ihr ein Zimmer für mich habt. Nur für ein paar Stunden, aber ich müsste mich dringend mal wieder ausruhen."
Ich bejahte und Sam nahm einen Schlüssel von dem großen Hirschgeweih, das als Aufhänger diente. "Ich geb dir das Zimmer mit der Badewanne. Ich hatte für uns beide", sie deutete auf mich und sich selbst, "ein Lavendelschaumbad gekauft. Das Ding wirkt wahre Wunder, und du hast es dir auf jeden Fall verdient." "Oh, das klingt gut", meinte Honey. "Endlich mal wieder richtig entspannen..." "Na dann. Kommst du?" Sam deutete hinter sich, auf die schmale Treppe, die ins Obergeschoss führte. Ich umarmte Honey kurz, danach folgte sie Sam nach oben. Ich lächelte in mich hinein. Wenn Honey am frühen Morgen ausgeschlafen hatte, würden wir uns endlich mal wieder richtig lange unterhalten können...
Leyo
A SNAKE AND A SKULL - 9PM
Als die Tür sich öffnete und ein Mann mittleren Alters das Café betrat, bimmelte die kleine, eiserne Türglocke eifrig drauf los. Nachdem sie mit ihrer Melodie fertig war schielte sie aufgeregt nach unten. "Und? Wie war ich?" Der Mann klopfte sich den Dreck aus den Schuhen und sah sich nach oben um. Er musste lächeln. "Großartig. Das ist dir gut gelungen." Vor Freude verdrehte sich die Glocke in ihrer Halterung, während der Mann seinen Regenschirm beiseite stellte und sich zur Theke des Cafés begab. Ich stellte das Glas, das ich bis grade poliert hatte, zur Seite und begrüßte ihn freundlich. Er grüßte zurück und nickte dann mit dem Kopf zur Tür. "Ein Prachtexemplar haben Sie da." "Ja, nicht wahr? Ich habe sie selbst erzogen. Sie ist erst vor zwei Jahren geschmiedet worden, kennt aber schon unsere Stammkunden auswendig und denkt sich für fast alle Gäste neue Melodien aus." "Beeindruckend", sagte der Mann und nahm sich nebenbei eins der Menüs, die auf der Theke verteilt lagen. "Am Besten", erklärte ich stolz, "Ist ihr Erinnerungsvermögen. Wenn sie wiederkommen wird sie Sie sofort erkennen, und wenn Monate dazwischen sind!" Der Mann nickte anerkennend. "Nicht schlecht, nicht schlecht. Müssen nur noch die Getränke so gut wie die Erinnerungen der Türglocke sein." Er tippte schmunzelnd auf die Karte. "Einen Siren bitte." Ich schnappte mir zwinkernd ein Gefäß, dass wie ein Weinglas ohne Fuß aussah. "Na dann, lassen Sie sich mal überraschen!"
Ulrich, die metallene Schlange, die bis jetzt als mein Armreif fungiert hatte, entrollte sich langsam und glitt auf die Theke. Ich übergab ihm das Glas. "Ach", meinte er in seiner üblichen, bissigen Art, "Die Türklingel ist also besonders toll. Und was bin ich dann bitteschön? Immerhin sind wir aus dem gleichen Metall!" Ich nahm eine verkorkte Flasche aus dem Regal und hielt sie ihm zum Öffnen hin. "Du bist der missratene Zwillingsbruder." Ulrich züngelte beleidigt in meine Richtung. "Sei du bloß froh, dass ich dir bei der Arbeit helfe. Du wärst doch aufgeschmissen ohne mich!" Ich nickte nur ergeben, dann holte ich aus dem Schrank unter der Theke das Pulver, das einen Siren erst zum Siren machte. Die Metallschlange vergaß ihren Groll und brachte sich in Position. Jetzt kam es auf Präzision an. Ich maß eine genaue Menge des glitzernden Pulvers ab und schüttete sie schnell in das Glas. Ulrich kippte es sofort in einer geübten Bewegung auf den Kopf. Die dunkelblaue Flüssigkeit schwebte nun, die Schwerkraft vollkommen ignorierend, oben im Glas. Zufrieden lies ich die Schlange wieder an meinen Arm kriechen und servierte den Drink, verziert mit blauen Steinchen und einem Blatt Minze dem Mann, der meinen kleinen Streit mit meinem Mitarbeiter amüsiert mit angesehen hatte.
Nachdem ich den Herrn bedient hatte schnappte ich mir einen Lappen und begann, einen die freien Tische zu wischen. Mein Café war klein und gemütlich, und ich tat mein Bestes damit es immer so blieb. Es war erst kurz nach Neun, noch saß der Mann ganz alleine in seinem Sessel und starrte gedankenverloren in die Dunkelheit. Später in der Nacht würden es mehr Gäste werden, aber momentan genoss ich noch die Ruhe des frühen Abends. Ich schmiss das Tuch über die Theke und ging ins Hinterzimmer, um ein neues Fass mit Happiness Zero zu holen. Das war das meistgefragteste Getränk auf meiner Karte und ich hatte mir angewöhnt, immer eine Extraladung davon bereit zu halten.
"Na du", wurde ich von meiner Angestellten und Freundin Sam begrüßt, als ich den nur spärlich beleuchteten Raum betrat. Sie war dabei, sich für die Arbeit umzuziehen. Ihre großen, schimmernden, dunkelbraunen Adlerflügel lagen zusammengefaltet auf ihrem Rücken, aber die Federn raschelten, als sie sich zu mir umdrehte. Ausgebreitet hatten die Flügel eine Spannweite von mehreren Metern, doch in ihrer momentanen Position nahmen sie glücklicher Weise kaum Platz weg. Der Gecko, den Sam auf die Haut tätowiert hatte, huschte grade ihre Schulter hoch und ringelte sich dann ihren Rücken herunter. Unbewusst strich sie über die Stelle, an der er sich niederlies. Ich ging mit schnellen Schritten auf sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Hab dich gar nicht an mir vorbei gehen sehen..." Sie verdrehte die Augen. "Du warst vertieft in einen Streit mit Ulrich." "Oh", ich erinnerte mich. "Das war seine Schuld." "War es nicht!", meldete sich die Schlange von meinem Handgelenk zu Wort, "Goo'night, Sam." "Night, Ulrich." Sie lachte und zog sich ihr Oberteil über den Kopf. Der Gecko wurde von der Bewegung aufgescheucht und huschte schutzsuchend hoch zu ihrem Hals. Sie ignorierte ihn gekonnt und band sich ihre Schürze um. "H-0?", wollte sie wissen. Ich nickte. "Ein Fass, wie immer. Und heute ist Vereinstag, also eine Flasche 1579er dazu." Sam lächelte und lief zu der Rückwand des Raumes, wo die Fässer an der Wand aufgestapelt standen. Mit ihren Flügeln war es ein leichtes, eins der Fässer von ganz oben zu holen und vor meinen Füßen abzusetzen. "Danke." Ich nahm das Fass und brachte es nach vorne in den Verkaufsraum.
Der Mann von vorhin sah auf und gab mir ein Handzeichen, damit ich zu ihm kam. Ich stellte das Fass hinter die Theke und lief zu ihm. "Wie kann ich helfen?" Er hielt eine Packung Zigaretten hoch. "Darf ich? Ich meine, an der Tür steht kein Verbotsschild, aber hier sind keine Aschenbecher..." "Sie dürfen", erklärte ich, "Ich will die Becher nur nicht überall rumstehen haben ." Ich deutete auf die liebevoll dekorierte Fensterbank. Zwischen Bahnen aus halb durchsichtigem, schimmernden Stoff, allerlei Fundstücken und Krimskrams, den ich darauf verteilt hatte und dutzenden Kerzen stand ein Totenkopf. "Schnippen Sie mit den Fingern." Zögernd kam der Mann der Aufforderung nach und der Schädel erwachte zum Leben. "Hey. Hey, du da", grinste er den Herrn an, "Ich hab zu Lebzeiten nie geraucht. Sind meine Zähne auch nicht gelb, deswegen." Er drehte sich in seiner Halterung, damit man sein Gebiss bewundern konnte. "Ich bin Kasimir. Schieben Sie ihre Asche einfach in meinen Mund, ich mach dann ganz brav "Ah" und kümmer mich um den Rest." Der Mann sah erst verwirrt aus, doch dann lachte er. "Ich weiß ja nicht, was ich erwartet hatte als ich herkam, aber das hier sicherlich nicht", meinte er glucksend. "Herrlich. Einfach herrlich!" Ich bedankte mich freundlich und ging zurück zur Theke, wo Sam nun am werkeln war.
"Bis wann machst du heute?", fragte ich sie. Eigentlich sollte sie nur die Hälfte der Nacht arbeiten und den Rest genießen, aber irgendwie half sie dann doch immer wieder mit. Dass sie sich strickt weigerte, sich für die Überstunden bezahlen zu lassen, führte oft zu Auseinandersetzungen zwischen uns. "Bis Zwei, dachte ich. Danach sind die vom Verein auch wieder weg." Das einmonatliche Treffen vom Sportverein der Stadt sorgte immer für viel Trubel bei uns, weswegen ich um jede Hilfe froh war. "Du bist ein Schatz", meinte ich.
Plötzlich ertönte ein lautes Geräusch. "Kasimir!", rief jemand empört. Der Schädel hatte offensichtlich gerülpst und sein Freund und ebenfalls Schädel, Apocalypse Rüdiger, der auf der zweiten Fensterbank saß, schalt ihn nun dafür. Mein Café hatte zu drei Seiten hin große Fensterfronten, allesamt mit Gardinen und Lichterketten verschönert. Auf den Fensterbänken standen neben Kerzen und Tand eben auch die Totenköpfe, die sich im ständigen Streit befanden. Der dritte Schädel, Paddy O'Brien, mischte sich zwar seltener ein, war aber dafür umso eingebildeter. Mir war nie ganz klar geworden, warum alte Knochen so einen schlechten Charakter hatten, aber die drei schafften es jedes Mal einander auf die Palme zu bringen. Streitende Totenköpfe, eins der vielen seltsamen aber üblichen Dinge in meinem Café. Ich seufzte und schickte Ulrich los, um zu schlichten was man schlichten konnte, grade als eine neue Kundin durch die Tür kam.
Die Türglocke überschlug sich fast dabei, eine neue Melodie zu erfinden, als ein Mädchen mit grünweißen Haaren und schwarzen Piercings das erste Mal das 7th Monster Road Café betrat...
Sam